Am 13. Oktober 2021 sendete der Ortsverband Dresden folgenden offenen Brief an den Beigeordneten für Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften der Landeshauptstadt Dresden, Herrn Bürgermeister Stephan Kühn (GRÜNE) zur Zukunft der Sankt Petersburger Straße in Dresden, deren Umbau wir im Rahmen der derzeitigen Planungen zur „Lingnerstadt“ als essenziell erachten:

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Kühn,

in Ihrem Ende Juli veröffentlichten Gespräch mit der Sächsischen Zeitung über die Zukunft des Verkehrs in Dresden beschreiben Sie sinnvolle Vorhaben zur Entwicklung des Stadtverkehrs, die das Bild der Stadt und den Umgang der Einwohner, Besucher und Pendler mit ihrer Stadt verändern wird. Dem Fuß- und Radverkehr sowie dem ÖPNV messen Sie dabei mehr Bedeutung zu, was in innenstädtischen Kontexten sinnvoll ist.

Leider kam in diesem Gespräch offenbar nur am Rande zur Sprache, dass bestimmte Teile der Stadt derzeit kein urbanes Erscheinungsbild abgeben, weil sie als Verkehrsflächen überwiegend dem motorisierten Individualverkehr vorbehalten sind, und damit ihrer Aufgabe als funktionierender Stadtraum nicht gerecht werden, vor allem im Bezug auf das Stadtbild. Die Rede ist von der Sankt Petersburger Straße in ihrem aufgeweiteten Verlauf zwischen Georgpatz und Carola-brücke. Im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung erkennen Sie diesen Bereich als mittelfristig zu lösendes städtebauliches Problem und fordern eine Lösung.

Der Verein Stadtbild Deutschland e.V. mit seinem Ortsverband Dresden möchte Ihnen eine solche umfängliche Lösung vorschlagen, die gleichzeitig einen Konflikt über die städtebauliche Figur der „Lingnerstadt“ und die Entwicklung der nördlichen Pirnaischen Vorstadt aufgreift, sowie ein Konzept für die geplante Erweiterung des Promenadenrings an der westlichen Kante der Inneren Altstadt beinhaltet. Wir bitten Sie, diesen Vorschlag bei den derzeitigen Planungen zu berücksichtigen und stehen mit unserer bundesweiten Erfahrung und Vernetzung als Ansprechpartner für städtebaulich hochwertige Lösungen gerne zur Verfügung.

Konkret bitten wir Sie, den Umbau der Sankt Petersburger zeitnah zu ermöglichen, indem der Planungsumgriff für den in Aufstellung, bzw. Bearbeitung befindlichen Bebauungsplan Nr. 389 A-2, Dresden-Altstadt I Nr. 45, Stadtquartier am Blüherpark-West, Nordteil auf die angrenzenden Flächen der Sankt Petersburger Straße, des Pirnaischen Platzes, sowie der Grunaer Straße erweitert wird, um eine städtebaulich integrierte Planung zusammen mit der „Lingnerstadt“ zu ermöglichen.

Sollte dieser Bebauungsplan ohne Berücksichtigung der anliegenden breiten Verkehrsachsen beschlossen werden, ist die einmalige Chance, an dieser Stelle qualitativ hochwertigen Städtebau, mithin eine Reparatur der durch Zerstörung und autogerechter Neuplanung entstandenen Situation, zu betreiben, wohl für immer vertan. Bitte setzen Sie sich als verantwortlicher Beigeordneter für eine der Stadt Dresden würdige Entwicklung dieses historisch und städtebaulich wichtigen Stadtteils ein!

Die Sankt Petersburger Straße nimmt zwischen Georgplatz und Carolabrücke derzeit zusammen mit den ebenso überdimensionierten Knotenpunkten und ihren Abstandsflächen auf einer Länge von 1 km fast 100.000 m² Fläche ein, und zwar ohne die Straßenbahntrasse. Zum Vergleich: Die Könneritzstraße benötigt auf einem ebenso langen Abschnitt zwischen Kraftwerk Mitte und Marienbrücke inkl. Straßenbahntrasse nur 28.000 m², also weniger als ein Drittel, obwohl sie derzeit ebenfalls eine Bundesstraße führt.

Wir sehen das Aufgeben des historischen Stadtgrundrisses der Pirnaischen Vorstadt nach der Zerstörung der Stadt im Februar 1945 durch die Neuplanung im Sinne der „autogerechten Stadt“ und der „sozialistischen Moderne“ als eklatanten Fehler beim Wiederaufbau Dresdens an. Die Veränderungen in der „Lingnerstadt“ durch den Abriss der Robotron-Gebäude geben uns dabei recht. Ebenso ist die mangelhafte städtebauliche Figur der nördlichen Pirnaischen Vorstadt zwischen Terrassenufer und Pillnitzer Straße offensichtlich.

Wir sind davon überzeugt, dass der historische Stadtgrundriss sich auch in heutiger Zeit hervorragend eignet, die Funktionen intakter urbaner Stadtviertel zu erfüllen, ohne die Nachteile der gründerzeitlichen Strukturen zu wiederholen. Im Gegensatz zu anderen Planungen, die überwiegend bezuglos zur historischen Bedeutung des Ortes, bzw. der gewünschten Funktionen entwickelt werden, ist die Wiederherstellung historischer Straßenzüge und Bebauungsstrukturen geschichtlich begründet, nachvollziehbar und stellt eine organische Weiterentwicklung der Stadt dar. Abweichende Planungen ignorieren zwangsweise den genius loci und stellen somit einen Fremdkörper dar. Wie schwer sich solche bezuglosen Neuplanungen behaupten können, zeigt die bisherige Bebauung rund um den Postplatz oder im Umfeld der Prager Straße, wo bereits mehrfach neu gebaut und/oder geplant wurde und wird, um städtebauliche Missstände zu beseitigen.

 

Die wichtigsten Aspekte und Vorteile unseres städtebaulichen Konzeptes:

  • Überwiegende Wiederherstellung des historischen Stadtgrundrisses in der Lingnerstadt und der nördlichen Pirnaischen Vorstadt, sowie entlang der Sankt Petersburger Straße für funktionierende Stadtquartiere

  • Dichte und urbane Bebauung im Blockrand in kleinteiliger Parzellierung für mehr Wohnraum und Nahversorgung sowie ruhige und begrünte private Innenhöfe

  • Starke fußläufige/radfahrerfreundliche Verknüpfung mit der Inneren Altstadt durch kurze Wegebeziehungen über die Sankt Petersburger Straße hinweg

  • Erhalt/qualitativ hochwertiger Ersatz der starken Begrünung (Promenadenring, Lingnerallee)

  • Aufwertung des Promenadenrings Nord-West (historischer Verlauf, starke Begrünung, Offenlegung Kaitzbach)

  • Aufwertung der Stadtplätze Pirnaischer Platz, Georgpatz und Rathenauplatz durch bauliche Fassung und weniger Verkehrs- und Abstandsflächen

  • Komprimierung der ausufernden Verkehrsflächen für den MIV durch Reduktion von Abstandsflächen und deren mittelfristige Verringerung zugunsten von Fahrrad- und Fußgängerinfrastruktur sowie Begrünung

  • Sichtbarmachung der reichhaltigen und wichtigen Geschichte der Pirnaischen Vorstadt sowie des Rings inkl. der erhaltenen Strukturen (Kultur- und Naturdenkmale)

Die positive Rezeption des wiederhergestellten Neumarkt-Areals ist ein klarer Beweis, dass Geschichte und Moderne miteinander harmonieren können und funktionieren. Der Abriss des Anbaus des Polizeipräsidiums, der Erhalt und die Sanierung des Kulturpalastes und die Rekonstruktion der Frauenkirche bilden keine Gegensätze, sondern stehen als Bestandteile einer organisch gewachsenen Struktur für das städtebauliche Optimum, das mit anderen Planungen nicht entstanden wäre. Zudem erweisen sich Quartiere mit erhaltenem Stadtgrundriss (z.B. die Äußere Neustadt/Antonstadt in Dresden) bundesweit als beliebte, funktionierende und zukunftsfähige Stadtstrukturen.

Mit diesen Erfahrungen, und auch angesichts des Ergebnisses der Bürgerbeteiligung zum Neustädter Markt, die eine stärkere Besinnung der Bevölkerung auf die Geschichte der Stadt bei städtebaulichen Vorhaben ergeben hat, bitten wir Sie, unseren Vorschlag umfassend zu prüfen und in die Planungen einfließen zu lassen. Gern stehen wir Ihnen für Rückfragen und Gespräche zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Manuel Reiprich
Pressesprecher

Jens Schuppe
Vereinsmitglied

Unser Konzept im Überblick

Abbildung 1 Bisheriger Verlauf der Sankt Petersburger Straße (gelb) über dem städtebaulichen Konzept zur Neuordnung und Bebauung der Pirnaischen Vorstadt. Blau: Umgriff Bebauungsplan 389 A-2. Rot: Flächen, um die der Planungsumgriff erweitert werden soll. Datenquelle: Landeshauptstadt Dresden, dl-de/by-2-0 (http://www.govdata.de/dl-de/by-2-0), opendata.dresden.de Visualisierung: Jens Schuppe

Unser Konzept im Detail

Unser Konzept sieht vor, die zwischen Georgplatz und Carolabrücke aufgeweitete Sankt Petersburger Straße in ihren Ausmaßen stark zu komprimieren, um die trennende Wirkung und die funktionellen Defizite der Straße zu beseitigen. Stattdessen wird der Platz genutzt, um die Pirnaische Vorstadt als urbane, in der Tradition der Europäischen Stadt verdichtete und vielseitig genutzte Stadt zu entwickeln und v.a. visuell und funktionell an die Innere Altstadt anzubinden.

Dazu wird der mit vier Baumreihen bepflanzte breite Mittelstreifen der Sankt Petersburger Straße verringert: südlich des Pirnaischen Platzes um drei, nördlich desselben um alle vier Baumreihen, die durch Neupflanzungen oder Umsetzungen in unmittelbarer Nähe ersetzt und überkompensiert werden. Die Straße wird nördlich des Pirnaischen Platzes wieder in ihren historischen Verlauf (ehem. Amalienstraße) verlegt, wodurch eine durchgehende Bebauung des Rings zwischen Sankt Petersburger Straße und Promenadenring möglich wird. Die Straßenbahntrasse erfährt entsprechend leichte Anpassungen ihres Verlaufs entlang der erhaltenen und weitergeführten Kante zwischen Reichsbankgebäude und Landhausstraße.

Der frei werdende Platz östlich der Sankt Petersburger Straße sowie der so wiederhergestellte Verlauf des Rings steht für die Neubebauung auf historischem Stadtgrundriss in kleinteiliger parzellierter Weise zur Verfügung, was v.a. der Befriedigung der hohen Nachfrage an Wohnraum und Büroflächen in der Stadt zugutekommt. Konkret sollen u.a. die Lingnerallee (auf ganzer Länge wieder mit vier Baumreihen bepflanzt) und die Pirnaische Straße (als geschichtlich wichtiger Teil der Dresden-Teplitzer Poststraße) wiederhergestellt werden.

Die Stadtplätze Georg-, Pirnaischer, und Rathenauplatz erhalten eine adäquate, am historischen Stadtgrundriss orientierte, hochwertige bauliche Fassung und nehmen so überhaupt erst wieder ihre Funktion als zentrale Punkte öffentlichen Lebens wahr, während sie bisher nur als Verkehrsknotenpunkte dienen. Die historischen Ausmaße und Gestaltungen dieser Plätze bieten sich geradezu dafür an, zumal erhaltene Elemente (z.B. Körnerdenkmal am Georgplatz, Allegorien der Elbe am Rathenauplatz) damit wieder sichtbar und gewürdigt werden. Am Pirnaischen Platz rückt der Glasbrunnen von Leoni Wirth näher an den Platz heran.

In der nördlichen Pirnaischen Vorstadt entsteht dadurch perspektivisch die Möglichkeit, die ehemalige Marschallstraße und ggf. den Elbberg wiederherzustellen, sowie die Pillnitzer Straße, perspektivisch mit einer Straßenbahntrasse versehen, in angemessenem Ausmaß als attraktive Stadtstraße zu gestalten.

Der Promenadenring West zwischen Pirnaischem und Rathenauplatz wird mit diesem Konzept massiv aufgewertet und zeigt sich als attraktive Flaniermeile mit viel Raum für Fußgänger und Radfahrer sowie umfangreichen Möglichkeiten gastronomischer, kultureller und sozialer Einrichtungen. Zudem erhöht eine starke Bepflanzung mit Stadtbäumen und anderen Grünflächen die ökologische Funktion des Promenadenrings. Wenn der dort unterirdisch verlaufende Kaitzbach auf diesem Abschnitt wieder offengelegt wird, ergibt sich zudem eine starke Wirkung gegen Überhitzung. Die Aufenthaltsqualität wäre phänomenal.

Unser Konzept in Bildvergleichen

Georgplatz von der Bürgerwiese in Richtung Rathaus mit baulicher Fassung an Nord- und Südseite. Zentral das Körnerdenkmal und das Naturdenkmal „Weiße Maulbeere“.
Bildnachweise: Hgzh / CC BY-SA (Creative Commons — Attribution-ShareAlike 4.0 International — CC BY-SA 4.0) via Wikimedia Commons

  

Sankt Petersburger Straße von der Einmündung der abgeknickten Lingnerallee in Richtung Pirnaischer Platz.

  

Ringstraße vom Gewandhaus in Richtung Lingnerstadt mit Bebauung zwischen Ring- und Sankt Petersburger Straße und wiederhergestellter Lingnerallee.

  

Pirnaischer Platz aus der wiederhergestellten Pirnaischen Straße.

  

Pirnaischer Platz aus der Landhausstraße Richtung Grunaer Straße mit wiederhergestellter Pirnaischer Straße.
Bildnachweise: Derbrauni / CC BY-SA (Creative Commons — Attribution-ShareAlike 4.0 International — CC BY-SA 4.0)

  

Petersburger Straße vom Pirnaischen Patz Richtung Georgplatz.

  

Pirnaischer Platz Richtung Ringstraße und Neues Rathaus mit Bebauung zwischen Ring- und Sankt Petersburger Straße; die Abbildung zeigt die zerstörte „Mohren-Apotheke“ an der Position eines neuen Kopfbaus.
Bildnachweise: Maksym Kozlenko / CC BY-SA (Creative Commons — Attribution-ShareAlike 4.0 International — CC BY-SA 4.0), via Wikimedia Commons

  

Promenadenring vom Pirnaischen Platz Richtung Rathenauplatz mit offen verlaufendem Kaitzbach.

  

Polizeipräsidium vom Promenadenring mit Bebauung an der Schießgasse.
Bildnachweise: Jörg Blobelt / CC BY-SA (Creative Commons — Attribution-ShareAlike 4.0 International — CC BY-SA 4.0) via Wikimedia Commons

  

Promenadenring vom Rathenauplatz in Richtung Pirnaischer Platz.

Visualisierungen: Jens Schuppe

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