In Zerbst in Sachsen- Anhalt, einst und bis zum April 1945 als das „Rothenburg des Nordens“ bekannt, droht der Abriss einer historischen Jugendstilvilla. Den Widerstand aus der Bevölkerung gegen den Abriss unterstützen wir. Denn Denkmalschutz ist eine überregionale Aufgabe und wir müssen uns untereinander unterstützen.

Aushängeschild Supermarkt oder Jugendstilvilla?

Offener Brief des Vorstands an die Stadträte und den Oberbürgermeister der Stadt Zerbst

Sehr geehrter Bürgermeister Dittmann, sehr geehrte Stadträte,

Stadtbild Deutschland e.V. setzt sich bundesweit und ehrenamtlich für Denkmalpflege und die Bewahrung des baukulturellen Erbes in unseren Städten ein. Wir sind in zahlreichen Orts- und Regionalverbänden aktiv und arbeiten mit vielen Denkmalschutz- und Stadtbildvereinen/Initiativen zusammen.

Wie der Vorstand des Vereins erfahren hat, plant die Stadt Zerbst, die Gorgaß-Villa in der Magdeburger Straße abzureißen, die 1893 von dem Pharmazieunternehmer Wilhelm Gorgaß erbaut worden ist.

Der Vorstand bittet Sie hiermit, diese Entscheidung noch einmal zu überdenken.

Es ist nicht nur für viele Zerbster, sondern auch für Außenstehende einigermaßen verwunderlich, wie die Verantwortlichen in Zerbst mit dem verbliebenen baukulturellen Erbe der Stadt umgehen.

Es ist überregional bekannt, dass Zerbst durch Zerstörungen im 2. Weltkrieg enorm viel historische Bausubstanz eingebüßt hat. Vom „Rothenburg des Nordens“ ist wenig übriggeblieben, vom einst prachtvollen Schloss steht bis heute nur noch ein Seitenflügel. Das Wenige, was in Zerbst noch original erhalten ist, sollte deshalb unbedingt bewahrt werden.

Es ist überregional auch bekannt, dass die Bauten der sog. Gründerzeit sowie vieles, was im Kaiserreich erbaut wurde, von Bauexperten der Nachkriegszeit gering geschätzt wurden. Vieles an erhaltungswürdiger Bausubstanz wurde in den letzten Jahrzehnten abgerissen und erst allmählich setzte dann ein langsames Umdenken in vielen Ämtern ein.

Es wäre schön, wenn diese neuen Impulse auch bei den Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung in Zerbst Gehör finden würden.

Mittlerweile ist man sich auch in Fachkreisen anderswo des großen Werts der Epoche, in der auch die Gorgaß-Villa erbaut wurde, wieder stärker bewusst geworden. Gerade der Jugendstil versuchte ja, die Architektur vergangener Epochen nicht nur zu kopieren, sondern sie weiterzuentwickeln und sich dadurch vom sog. „Historismus“ abzusetzen. Trotzdem wollte man keinen totalen Bruch mit der Vergangenheit und nicht völlig auf Ornamente und Dekoration verzichten, wie das später die Bauhäusler forderten.

Heutige moderne Neubauten, denen bekanntermaßen oft ihre Kälte und Nüchternheit vorgeworfen wird, würden viel besser angenommen werden, wenn ein solcher Anspruch auch heute bei Bauherren und Stadtplanern stärker anzutreffen wäre. Aus diesem Grund ist es wichtig, Zeugnisse dieser Vergangenheit zu erhalten, als Beispiel für zukünftige Generationen.

Ist es daher wirklich notwendig, eines dieser Zeugnisse für die Erweiterung eines Supermarktes zu opfern? Ist das der kulturelle Anspruch der Stadt an sich selbst und an ihre Besucher?

Sicher, Supermärkte sind wichtig, Arbeitsplätze auch. Aber gibt es in einer wie viele ostdeutsche Städte von Abwanderung und Schrumpfung betroffenen Stadt wie Zerbst nicht genug andere freie Flächen zur Verfügung, die als Alternative hätten dienen können – bzw. noch immer können?

Ist geprüft worden, ob es nicht doch Fördermöglichkeiten für einen Erhalt oder eine Sanierung der Villa gibt und -hoffentlich- auch für eine künftige Nutzung?

Ist die von engagierten Zerbster Bürgern kritisierte mangelnde Transparenz der Entscheidungsfindung berechtigt? Darüber werden Sie sicher geteilter Meinung sein, aber begegnen kann man dieser Kritik wohl am besten, wenn man die Bedenken der Bürger aufnimmt und handelt.

Ist wirklich alles getan worden, um die Gorgaßvilla zu retten?

Denkmalschutz und Bewahrung unseres baukulturellen Erbes sind eine wichtige Aufgabe, die überregional zur Kenntnis genommen wird. Der Vorstand bittet daher die Verantwortlichen in Zerbst, nochmals einen Versuch zu unternehmen, das Gebäude nicht nur zu retten, sondern auch, einer vernünftigen neuen Nutzung zuzuführen!

Mit freundlichen Grüßen

Manuel Reiprich, Pressesprecher