
Mit dem am 11. Dezember 2024 durch Prof. Steffen Marx, Institut für Massivbau an der TU Dresden, vorgestellten Gutachten mit den Untersuchungsergebnissen zum Einsturz der Carolabrücke am 11. September 2024 wurde klargestellt, dass alle drei Brückenzüge abgerissen werden müssen und ein Neubau zu planen ist.
Stadtbild Deutschland nimmt dieses Ergebnis zur Kenntnis, ebenso das große Interesse der Dresdner Bürger sowie Freunde unserer Stadt, die sich bereits kurz nach dem Einsturz mit Überlegungen zu einem Neubau befasst haben. Nachdem nun Klarheit herrscht, dass das denkmalgeschützte Bestandsbauwerk auch nicht teilweise erhalten werden kann, kommt aus Sicht des Vereins auch kein Ersatzneubau in gleicher Anmutung und auch kein nur geringfügig modifizierter Entwurf, mit dem einzigen Ziel der Vermeidung eines Planfeststellungsverfahrens, in Frage.

Altstadtsilhouette schützen
Die Carolabrücke tangiert die weltberühmte und absolut schützenswerte Altstadtsilhouette der Stadt, die sich seit dem Bau der als Dr.-Rudolf-Friedrichs-Brücke 1971 eingeweihten heutigen Carolabrücke durch Wiederaufbau historischer Bauten und Beseitigung städtebaulicher Missgriffe aus dieser Zeit wieder vollständig auf das historische Dresden bezieht. Die Voraussetzungen für einen Brückenneubau, der architektonisch und bauarttechnisch so von den erhaltenen anderen Innenstadtbrücken abweicht, wie dies in den 1960er/1970er Jahren geschah, haben sich also erheblich gewandelt. Auch durch die gleich mehreren Petitionen, eine neue Brücke in Anlehnung an den Vorgängerbau, die Königin-Carola-Brücke von 1895, in Betracht zu ziehen, zumindest aber deren Gestaltungsprinzipien für einen Neubau zu verwenden, sehen wir uns in unserem Anliegen bestärkt, traditionelle Bauweisen nicht nur bei Gebäuden, sondern auch im Städtebau sowie bei Ingenieurs- und Verkehrsbauwerken zu unterstützen. Ein Brückenneubau darf keine Beeinträchtigung der Altstadtsilhouette sein, d. h. kein ausschließlich zeitgenössischer Entwurf, der als architektonischer Fremdkörper innerhalb des Bereichs der Altstadtbrücken hervorsticht. Bereits bei der Sanierung der Marienbrücke wurde streng darauf geachtet, dass innerhalb des 26er-Rings keine altstadtunverträgliche Brückenbauweise sichtbar ist.
Besondere Lage beachten
Die neuralgische topografische Lage der Brücke am Rande der ehemaligen Festungsmauern, die v. a. im Bereich der Jungfernbastei und im Zusammenhang mit der Brühlschen Terrasse noch erhalten sind, und an die sich der Vorgängerbau in hervorragender Art und Weise durch seine Vorlandbrücken aus Sandstein angepasst hatte, wurden durch die neue Carolabrücke von 1971 völlig ignoriert. Durch eine riesige aufgefächerte Brückenrampe entstanden ausschließlich Verkehrs- und Abstandsflächen sowie Abhänge seitlich der Zufahrten. Diesen wenig urbanen Missstand vermochte auch die möglichst flache und dadurch unauffällige Form der zweiten Carolabrücke städtebaulich nicht auszugleichen. Die Lage zwischen altem Festungsgraben und der Pirnaischen Vorstadt gebietet eine sensiblere Vorgehensweise und größtmögliche Anpassung an den historischen altstädtischen Kontext bei einem Neubau der Brücke. Der Verkehrszug darf nicht weiterhin eine trennende Schneise zwischen Innerer Altstadt und Pirnaischer Vorstadt bleiben. Die heutige Carolabrücke war hierbei immer der Zwangspunkt, der die aufgefächerte Führung der Sankt Petersburger Straße bedingte. Ein Brückenneubau muss eine städtebauliche Abkehr von diesen Auswüchsen der autogerechten Stadt der 1960er/1970er Jahre sichtbar machen.
Bewährte Ingenieursleistungen respektieren
Die erste Carolabrücke von 1895 war technisch bereits eine moderne Brücke und würde ohne ihre Zerstörung auch heute noch problemlos für Straßen- und Schiffsverkehr genutzt werden können. Ihre drei Stromöffnungen hatten große Spannweiten von 54, bzw. 61 Metern und durch das flache Pfeilverhältnis von 1:14 der Eisenfachwerkbögen große lichte Durchfahrtshöhen. Die Fahrrinne wurde bereits durch nur eine Stromöffnung geführt, und nicht, wie bei den angrenzenden älteren Brücken, durch jeweils separate schmalere gemauerte Bögen. Die Fahrrinne der Elbe im Bereich der Carolabrücke ist heute ca. 58 Meter breit, sodass es für die Schifffahrt auf der Bundeswasserstraße Elbe praktisch keine Einschränkungen gäbe.
Sollte eine neue Brücke einen weiteren Strompfeiler benötigen, wie ihr historisches Vorbild, so gibt es für die Genehmigungsfähigkeit und Machbarkeit auch in heutiger Zeit Vorbilder, bei denen Strompfeiler in einer Bundeswasserstraße kein Problem darstellen, z. B. die Pfaffendorfer Brücke über den Rhein in Koblenz. Hier gilt es, bei der Abwägung von Interessen (z. B. möglichst pfeilerlose Fahrrinne für Schifffahrt) Kompromisse zu suchen. Bzgl. Strompfeiler im Bereich der Dresdner Elbtalweitung dürfte eine weitere Brücke keine nennenswerte Beeinträchtigung für Schifffahrt oder bei Hochwassern darstellen.
Die Bauart als Spannbeton-Balkenbrücke hat sich als kurzlebig und wartungsintensiv herausgestellt, auch bei neueren Bauwerken, die die bauzeitlich bedingten Einschränkungen der Carolabrücke bzgl. Standfestigkeit nicht aufweisen. Stein-, bzw. Stampfbetonbogen- und Stahlfachwerkbrücken sind konstruktiv langlebiger und ihr Verschleiß wesentlich besser vorhersagbar. Sie altern zudem wesentlich ästhetischer und lassen eine bessere gestalterische Einbindung in ihr Umfeld zu.

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Altstadtverträgliche Gestaltung ermöglichen
Die Königin-Carola-Brücke hatte sich in ihrem architektonischen Entwurf ausdrücklich an die Dresdner barocken Gestaltungsformen angelehnt und sollte die Sicht von und zu der Brühlschen Terrasse möglichst wenig beeinträchtigen. Hervorzuheben ist hierbei, dass die Königin-Carola-Brücke von 1895 eine unterschiedliche Gestaltung der Vorlandbrücken sowie der Stromöffnungen vorsah. Erstere lehnten sich in einer massiven, aber flachen Bauweise an die Festungsbauwerke, sowie durch die Verwendung von Elbsandstein als lokalem Material an die Dresdner Bautradition an. In ihrer Architektur in neobarockem Stil wurde auf die wichtigen Bauwerke in der Dresdner Altstadtsilhouette Bezug genommen. Die Stromöffnungen wurden in Eisenfachwerk mit großen Spannweiten sowie flachen Bögen möglichst niedrig und unauffällig gestaltet, ohne einen zu großen gestalterischen Bruch mit den Vorlandbrücken zu erzeugen. Die Brücke bettete sich dabei hervorragend in ihr historisches und zeitgenössisches Umfeld gleichermaßen ein, ohne ihren Charakter als moderne Ingenieursleistung zu verleugnen. Ein Brückenneubau sollte diese Kriterien ebenso verfolgen.
Die neue Carolabrücke von 1971 bedachte diese Entwurfsprinzipien bzgl. der Geometrie zwar ebenso, allerdings nicht im Bezug auf die Architektur. Diesen Fehler sollte ein Neubau nicht wiederholen, und die Vorlandbrücken sowie die Stromöffnungen entsprechend gestalten. Die Königin-Carola-Brücke von 1895 hatte dies in besonders hervorragender Weise demonstriert und sie sollte deshalb als Vorbild für einen Neubau gesetzt sein.

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Umfassende Verkehrsorganisation einbeziehen
Vor allem sollte eine städtebauliche und verkehrliche Neuorganisation der Stadtviertel an den Brückenköpfen mit einem Neubau der Carolabrücke einhergehen, und zwar bereits in der Planungsphase. Die mittelfristige Verlegung der über die Brücke geführten Bundesstraße auf den Äußeren Stadtring und die ebenfalls in Aussicht stehende Fertigstellung der Ostumfahrung Dresdens über die Staatsstraße 177 werden den Trend sinkender Verkehrsmengen durch die Innenstadt weiter verstetigen. Auch geht der Verkehrsentwicklungsplan der Stadt von einer Reduzierung des MIV innerhalb des 26er-Rings aus, was u. a. durch Stärkung des Umweltverbunds (ÖPNV, Rad- und Fußverkehr) vorangetrieben wird.
Stadtbild Deutschland sieht daher keine Notwendigkeit für einen in der Kapazität identischen Ersatzneubau der Carolabrücke, der eine stadtbildverträgliche umfassende Neuplanung verunmöglichen würde. Die Sankt Petersburger Straße soll ohnehin in ihrem aufgeweiteten Verlauf mit überbreiten Abstandsflächen zwischen Georg- und Rathenauplatz umgebaut werden, wozu sich der historische Stadtgrundriss mit Führung des Promenadenrings im Bereich des ehemaligen Festungsgrabens und einer angrenzenden Straßenführung mit einer Ringbebauung hervorragend eignet. Mit der Offenlegung des Kaitzbaches in diesem Bereich wäre zudem eine ökologische sowie städtebauliche Aufwertung möglich. Für einen Umbau der Sankt Petersburger Straße sowie der Stadtplätze Georg-, Pirnaischer, Rathenau- und Carolaplatz wird wahrscheinlich ohnehin ein Planfeststellungsverfahren notwendig werden, sodass dies für die Carolabrücke selbst auch kein Problem darstellen sollte.
Bürgerschaft mitreden lassen
Stadtbild Deutschland fordert die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung und im Stadtrat daher dazu auf, eine neue Carolabrücke nicht isoliert von umgebenden verkehrlichen und städtebaulichen Aspekten zu betrachten und verschiedene Möglichkeiten auszuloten. Dazu gehört neben der verkehrlichen Dimension (Breite, Anzahl Fahrspuren, Führung der Straßenbahn, etc.) auch zwingend die architektonische Frage, bei der es keine Ausschlüsse oder Dogmen geben sollte. Die Dresdner Bürger müssen dabei unbedingt gehört werden und mitentscheiden dürfen. Wir sehen daher einen offenen Wettbewerb zur Einholung eines Stimmungsbildes und andere Instrumente der demokratischen Beteiligung (s. Bürgerbeteiligung Neustädter Markt/Königsufer, Bürgerentscheide, etc.) als probates Mittel, um in der Stadt eine gemeinsame Vision zu entwickeln.
Bei einem Bauwerk, das für mindestens ein Jahrhundert errichtet wird, und welches das Herz unserer Stadt direkt berührt, sollte man sich ausreichend Zeit nehmen, um das beste Ergebnis zu erreichen, anstatt wegen aktueller zeitlicher, politischer und finanzieller Aspekte eine unpassende Interimslösung zu verstetigen.