
von Gerd Jückstock
Viel wurde in den vergangenen Jahrzehnten über die weltweit beachtete Rekonstruktion der Warschauer Altstadt in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts geschrieben. Anlass für einige Mitglieder des Ortsverbands Hamburg von Stadtbild Deutschland sich ein eigenes Bild davon zu machen, darunter die Ortsverbandsleiterin Etta Ehlers und der stellvertretende Bundesvorsitzende Gerd Jückstock.
Sehr hilfreich bei der Erkundung der rekonstruierten Teile Warschaus war eine polnisch-sprachige Teilnehmerin, die uns dabei half die zahllosen Informationstafeln zu übersetzen, von denen die meisten ausschließlich auf Polnisch beschriftet waren. Sie konnte uns darüber hinaus viele Hinweise zur Geschichte und Kultur Polens geben, die für das Verständnis der Wiedererstehung Warschaus nach der Zerstörung wichtig sind.
Da wir direkt in der Altstadt Quartier genommen hatten, konnten wir schon gleich nach unserer Ankunft einen Blick auf den in die Abendsonne getauchten, rekonstruierten Rynek Starego Miasta (Marktplatz in der Altstadt) werfen.

Dank der weitsichtigen Dokumentation aller Baudenkmäler der Altstadt in den Jahren 1937-1940 durch O. Sosnowski gelang es nach der kompletten Zerstörung Warschaus im Zweiten Weltkrieg in den Jahren 1949-1955 eine zumindest an den alten Plänen orientierte Rekonstruktion des alten historischen Zentrums zu beginnen. Eine zentrale Rolle spielte dabei der „Vater der Wiedererstehung der Altstadt“, Prof. Jan-Zachwatowicz, dem auf der Stadtmauer dafür ein prominentes Denkmal gesetzt wurde.

Wer glaubt, dass dieses einmalige Bauvorhaben ohne Diskussionen und langwierige Kämpfe über die Bühne ging, hat weit gefehlt. Ähnlich wie in Deutschland waren die Denkmalpfleger im Geiste von Alois Riegel und Max Dvorák erzogen, die den Wiederaufbau von Denkmälern strikt ablehnten. So war es vielen konkurrierenden und widersprüchlichen Einflüssen jener frühen sozialistischen Periode zu verdanken, dass man sich schließlich auf das geringste Übel einigen konnte, was in den Siebziger Jahren schließlich unverhofft zur Aufnahme in das Weltkulturerbe der UNESCO führte. In dem Beitrag „Legende und Wirklichkeit: Der Wiederaufbau Warschaus“ schildert Andrzej Tomaszewski ausführlich den schmerzvollen Prozess der Wiederauferstehung Warschaus und macht dabei deutlich, wie all die akademischen Debatten über die Authentizität der historischen Substanz durch das Plebiszit der Warschauer Bevölkerung (und mittlerweile natürlich auch der Millionen Touristen) inzwischen ad acta gelegt wurden. „Das sind die einzigen Plätze, die massenhaft von den Warschauern besucht werden, weil sie sich nur hier mit ihrer Stadt und ihrer Geschichte identifizieren. Alle wissen, dass sie keine authentischen Denkmäler sehen, sondern ihre romantische Vision, die in Einzelheiten von der geschichtlichen Wahrheit abweicht…“ und fährt fort, dass die Rekonstruktion inzwischen selbst zur Geschichte Warschaus gehört, was die die UNESCO genauso sah.
Auch wenn es noch lange dauern sollte, bis das Königsschloss und die berühmte Straße Ulica Nowy Świat (Neue-Welt-Straße) als Teil des Königsweges rekonstruiert wurden, war doch das Erfolgsmodell der Altstadtrekonstruktion die Initialzündung für das Wiedererstehen eines heute in Teilen wieder wunderschönen Warschaus, das früher auch als „Paris des Ostens“ bezeichnet wurde.

Wer die Wirkung und den Wert rekonstruierter Altstädte selbst erleben möchte, sollte unbedingt nach Warschau fahren (und auch in viele andere Städte Polens). Unsere Gruppe war jedenfalls sehr beeindruckt von dem Gesehenen und kann das Erlebte sicher zukünftig auch in die Architekturdebatten vor Ort einbringen.



