Echte Rekonstruktionen, Gebäude, die nach Zerstörung in ihrem Äußeren und Inneren ohne Abstriche wiedergewonnen wurden, sind in Deutschland Raritäten (obgleich die Rekonstruktionsgegnerschaft so tut, als würde unser Land von ihnen überschwemmt). Im Blick auf Dresden sind mindestens zwei prominente Beispiele anzuführen: die vor 10 Jahren wiedereröffnete Frauenkirche und die am 13. Februar 1985 mit C.M. von Webers „Freischütz“ eingeweihte wiedererrichtete Staatsoper. Neben Dresden gibt es in Deutschland nicht mehr als eine Handvoll Opernhäuser, die in ihrer historischen Gestalt bewahrt oder wiederaufgebaut wurden.

Weiß der „Mann auf der Straße“, warum das Dresdner Opernhaus „Semperoper“ genannt wird? Da bin ich mir nicht so sicher. Würde man ihn auf den „Raschdorffdom“, das „Marchstadion“, die „Fischeroper“ oder das „Schumachermuseum“ ansprechen, wäre das Unverständnis komplett; denn es gehört zur Tugend des Architektenberufs, dass der Schöpfer nahezu restlos hinter seinem Werk verschwindet und oftmals in Vergessenheit gerät. Gottfried Semper, der bedeutendste Architekt des deutschen Historismus, ist hierin eine phänomenale Ausnahme, obgleich etwas rätselhaft ist, warum der Name dieses Erbauers zahlreicher Großbauten in Dresden, München, Wien und anderswo ausgerechnet seinem Dresdner Opernhaus (und der Sempergalerie) anhaftet.

Immerhin ist der Name Semper gleich dreifach mit diesem Dresdner Bau verwoben. Von 1838 an errichtete Gottfried Semper das erste königliche Hoftheater in den Formen der italienischen Frührenaissance. Nachdem dieses 1869 durch einen Brand zerstört worden war, entstand ab 1871 ebenfalls nach Plänen Gottfried Sempers das zweite Opernhaus, diesmal in den prächtigen Formen der italienischen Hochrenaissance, wie auch das Burgtheater und das Kaiserforum in Wien. Da Semper aber in Dresden nicht mehr gelitten war, nachdem er sich 1849 zusammen mit Richard Wagner als republikanischer Aufständischer betätigt hatte und fliehen musste, wurde der Bau von seinem Sohn Manfred Semper ausgeführt. Er stand von 1878 bis zu seiner weitgehenden Zerstörung 1945.

Vor allem mit diesem Dresdner Bau und den Wiener Staatsbauten begründete Gottfried Semper seinen Ruf als Großmeister des Historismus, der diesem Stil – auch über die Phase seiner Verfemung hin – einen geachteten Platz in der Baugeschichte sicherte. Semper wies dem Historismus die weithin gültige Ausformung als Neorenaissance zu, die er damit begründete, dass der Stil der italienischen Stadtrepubliken am Beginn der Neuzeit sich am besten mit dem bürgerlichen Zeitalter des 19. Jahrhunderts verbinde. In der Tat traten die höchst umstrittenen Auswüchse des sog. Eklektizismus, aber auch eine gewisse Beliebigkeit der Neo-Stile erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf, lange nach Sempers Tod 1879.

Dr. Harald Streck, Vereinsvorsitzender