
Stellungnahme des Ortsverbandes Hamburg zur Machbarkeitsstudie für den Wiederaufbau der Bornplatz-Synagoge:
Mit dem Vorliegen der Machbarkeitsstudie für den Wiederaufbau der Bornplatz-Synagoge geht eine lange Zeit des Wartens zu Ende, die die Hoffnung nährt, dass jüdisches Leben in Hamburg wieder einen sichtbaren Mittelpunkt bekommen kann. Das Grindelviertel – einst Zentrum des jüdischen Lebens in der Hansestadt, dann durch Terror und Totalitarismus des Großteils seiner Bewohner und mit ihnen der wesentlichen Kulturträger beraubt – findet zurück zu seinen Wurzeln.
Mit dem nun von einem breiten gesellschaftlich-politischen Bündnis getragenen Wiederaufbauvorhaben der 1938 von den Nationalsozialisten verwüsteten, niedergebrannten und schlussendlich auf Kosten der jüdischen Gemeinde abgetragenen Synagoge besteht nach mehr als einem Dreivierteljahrhundert die Chance, dass sich die noch immer offene Wunde im Herzen des Viertels endlich schließt.
Stadtbild Deutschland begrüßt das Wiederaufbauvorhaben ausdrücklich und reiht sich in die Schar derer ein, die in der Rekonstruktion der Synagoge – einst die größte und bedeutendste in Norddeutschland – ein starkes Zeichen gegen jeden Antisemitismus, gegen das von den Nazis von einst und jetzt gewünschte Austilgen jüdischen Lebens, sehen.
Antisemitismus ist heute wieder auf dem Vormarsch: Hass und Hetze gegen Jüdinnen und Juden, Angriffe auf Mitmenschen jüdischen Glaubens und Anschläge auf jüdische Einrichtungen wie der abscheuliche Angriff auf die Synagoge in Halle 2019 erschrecken uns immer wieder. Der Anschlag von Halle war der konkrete Anlass für das Projekt der Wiedererrichtung der Synagoge am Bornplatz. Gemeinsam mit den Initiatoren begrüßt Stadtbild Deutschland den Wiederaufbau gerade vor diesem Hintergrund als starkes Zeichen gegen antisemitische Hetze und Gewalt und für eine freie Gesellschaft.
Stadtbild Deutschland begrüßt und fördert nachdrücklich die Initiative, dem jüdischen Leben mit dem Neubau bzw. der Rekonstruktion der Synagoge sein kulturelles und spirituelles Zentrum in der Mitte des Grindelviertels (zurück) zu geben. Ebenso wie die Schaffung eines jüdischen Zentrums im Herzen Hamburgs begrüßt der Verein das Vorhaben als architektonisches und städtebauliches Projekt.
Die historische Synagoge, erbaut vom renommierten Hamburger Architekten Semmy Engel, stellte in ihrer Formensprache in vielerlei Hinsicht das gebaute Zeugnis einer freien, emanzipierten und selbstbewussten jüdischen Gemeinde dar. Bei der Konzeption des Interagierens des Gotteshauses mit dem umgebenden Stadtraum handelte Engel erkennbar geschickt und im wahrsten Sinne des Wortes zeichensetzend:
Zunächst die Positionierung des Gebäudes in seiner Umgebung: anders als noch wenige Jahrzehnte zuvor, als das Judentum sich noch in Hinterhöfen abseits städtischer Zentren seine Andachtsstätten schaffen musste, errichtete Engel einen jüdischen Sakralbau, der im Gestus einer christlichen Kirche zur städtebaulich prägenden Dominante des gesamten Grindelviertels wurde. Ein beeindruckendes Zeugnis des grundlegenden Wandels der Stellung der Juden in der Gesellschaft!
Auch die Formensprache drückte das Selbstverständnis der jüdischen Gemeinde als Teil Hamburgs aus: noch kurz zuvor verwandte man häufig maurische und orientalisierende Formen, um jüdische Gotteshäuser zu schmücken – eindrucksvolles Beispiel dieses, sich bewusst abgrenzenden fremdartigen Stils ist die große Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin. Engels Bau hingegen war bewusst ganz und gar in der deutschen Baukultur verwurzelt.
Mit der Wahl der Neoromanik als stilistischem Konzept drückt Engel unverkennbar aus, dass sich die jüdische Gemeinde Hamburgs keinesfalls als etwas Fremdes, Exotisches sieht. Vielmehr manifestiert sich in der bewussten Verwendung des Stils , der mit Recht und Fug als „Staatsstil“ der Zeit bezeichnet werden kann, ein klares Bekenntnis, Teil des deutschen Volkes und der deutschen Kultur zu sein..
Mehr als viele andere Synagogen aus jener Zeit, namentlich solcher, die sich eben nicht am mitteleuropäischen Formenkanon der Architektur orientierten, steht gerade die Bornplatzsynagoge emblematisch dafür, dass die jüdische Gemeinde integraler Bestandteil der hiesigen Gesellschaft und Kultur war und ist. Sie ist Stein gewordenes Zeugnis jüdischen Hierseins und jüdischer Teilhabe.
Umso größer die Beklommenheit, die das Abrücken der Machbarkeitsstudie vom durch die Initiatoren gewünschten Konzept auslöst!
Verfolgt man die Medienberichterstattung zum Entstehen der Initiative, betrachtet man die mehrfach geäußerte Haltung der Jüdischen Gemeinde, liest und hört man die Aussagen der Befürworter und Förderer des Projektes über alle Parteigrenzen hinweg, waren sie alle sich einig darin, dass am Ende des Prozesses eine Rekonstruktion der historischen Synagoge stehen solle. Ein neues Bauwerk, das in seinen Formen möglichst nah an seinem historischen Vorbild orientiert sein solle, das an die nutzungstechnischen Erfordernisse der heutigen Gemeinde angepasst eben im Wortsinne eine „Rekonstruktion“ und keine völlige Neuschöpfung mit dezenten Hinweisen auf das einst an dieser Stelle bestandene Gebäude sein sollte.
Erkennbar wird die nun vorliegende Machbarkeitsstudie des Architekturbüros Wandel Lorch Götze Wach diesem Anspruch nicht gerecht.
Aus Sicht von Stadtbild Deutschland wird bereits in der umfangreichen Einleitung deutlich, dass den Bearbeitern wenig an einer tatsächlichen Rekonstruktion des historischen Bauwerkes gelegen ist. Vielmehr entsteht den Eindruck, dass den beteiligten Architekten daran gelegen zu sein scheint, mit der Argumentation der Einleitung eine vor die eigentlichen Studie gezogenen Rechtfertigung ihr Abweichen von der gestellten Aufgabe zu begründen – ja, mehr noch, es als unausweichlich darzustellen.
Zweifelsohne: Wandel Lorch Götze Wach tut dies mit wohlgesetzten, teilweise durchaus richtigen Worten. Der grundsätzlich richtigen Benennung von beteiligten Interessengruppen, von verschiedenen Motivationen von Rekonstruktionsbefürwortern und -gegnern wird man schwerlich widersprechen können. Lediglich die teilweise zu Rate gezogenen und zu Felde geführten Expertenmeinungen, namentlich die des mehr als umstrittenen Architekturtheoretikers und Aktivisten Stephan Trüby, nehmen dem Argumentationsstrang ein wenig von seiner Sachlichkeit.
Nichtsdestotrotz: die Autoren lassen keinen Zweifel daran erkennen, dass die Gewichtung der Argumente von vornherein darauf ausgerichtet ist, eine originalgetreue Rekonstruktion der Engel’schen Synagoge als entweder faktisch, oder aber ideell unmöglich erscheinen zu lassen.
In durchaus nachvollziehbarer Weise ziehen die Verfasser der Studie die von Alexander Stumm (Universität Kassel) verfasste Studie „Architektonische Konzepte der Rekonstruktion“ für ihre Argumentation heran und übernehmen aus dieser die vom Verfasser postulierten vier bzw. fünf Konzepte der Rekonstruktion. Es sind dies bei Stumm die folgenden:
1. Die „historische“ Rekonstruktion, der er unterstellt, das verlorene Bauwerk in idealer Vollkommenheit wiederherstellen zu wollen. Ganz gleich, ob es einst tatsächlich in dieser Gestalt existiert hat oder nicht.
2. Die „interpretierende“ Rekonstruktion, die sich dem Gedanken der Wiederherstellung eines ehemals verlorenen Ganzen zwar nicht grundsätzlich widersetzt, den Bruch zwischen Alt und Neu jedoch sichtbar herausstellt.
3. Die „archäologische“ Rekonstruktion, die primär auf Authentizität abstellt und – im Sinne der Charta von Athen (sie darf als Grund-Postulat der „Moderne“ verstanden werden) allenfalls eine eine Ahnung vom abgegangenen Gebäude, vermitteln will.
4. Die „konzeptionelle“ Rekonstruktion, die Rekonstruktionen im engeren Sinne allenfalls insofern in Betracht zieht, als dass sich Neubauten in ihrer Gestalt, ihrer Kubatur nach andeutungsweise an ein abgegangenes, historisches Gebäude anlehnen.
5. Und schlussendlich die „konzeptionelle“ Rekonstruktion, bei der sich die Wiederherstellung auf eine Anlehnung an den historischen Stadtgrundriss bzw. die über das individuelle Gebäude hinausgehende Großform beschränkt.
Die Ersteller der Studie spannen hier unter Bezugnahme auf die Definition von Stumm also einen Bogen von einer originalgetreuen Rekonstruktion bis hin zu einem Bauwerk, das lediglich eine grobe Ahnung des einst Gewesenen vermittelt.
Die vier in der Studie vorgestellten Umsetzungsbeispiele spiegeln die hier dargestellten Nähegrade zum historischen Original im Grunde wider – umschiffen jedoch das offenbar zu heiße Eisen einer tatsächlichen, „historischen“ Rekonstruktion im Sinne des Punkt 1.
Graduell wird der Weg von einer vergleichsweise nah am historischen Vorbild orientierten, wenn auch in gänzlich anderer Materialität ausgeführten Synagoge über zunehmend freiere Interpretationen bis hin zu einem faktisch völlig vom historischen Vorbild losgelösten Bauwerk beschritten.
Ohne Frage ist es legitim, einen solchen Strauss von Interpretationen als Inspiration vorzulegen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sich auf diese Weise eine Diskussion wie die hier nun geführte anregen und anfeuern lässt. Es sind Debatten wie diese, die günstige, ja willkommene Gelegenheit bieten, sich sowohl des eigenen Standpunktes, wie auch dessen des Andersdenkenden, zu vergewissern und diesen jeweils eingehend zu reflektieren. Selbst, wenn das schlussendliche Ergebnis nicht völlig den eigenen Ambitionen entsprechen mag – der Austausch der Positionen bietet willkommenen Anlass, sich der Frage über den Wert (oder Unwert) von Rekonstruktionen, ja, vom Wesensgehalt von Bauwerken eingehendere Gedanken zu machen.
Grundlegend für die Inbetrachtziehung einer Totalrekonstruktion wird die Frage sein, ob sich mit der Definition Stumms die Deutungsmöglichkeiten des Rekonstruktionsaktes bzw. – tatsächlich oder vermeintlich – dessen Widerspruch zum Authentizitätsgedanken erschöpfen.
Durchaus sympathisch ist aus Sicht von Stadtbild Deutschland, dass ein Exkurs zu den Positionen Georg Dehios und Eugène Viollet-le-Ducs erfolgt, die beide zwar grundsätzlich die Möglichkeit einer tatsächlichen, vollständigen und orgiginal-identischen Rekonstruktion verneinten, jedoch in der Praxis weitaus pragmatischer Handelten, als man dies angesichts ihrer geäußerten Ansichten glauben könnte. Dehio im Falle der Rekonstruktion des Hamburger Michels sogar in für Hamburg sehr relevanter Weise. Eugène Viollet-le-Duc, der sich in der Theorie der faktischen Unmöglichkeit der historisch korrekten Totalrekonstruktion so sehr bewusst war, zog hieraus bemerkenswerte Schlüsse und wurde so zum Schöpfer solch beeindruckender, am historischen Vorbild angelehnter, interpretierender Rekonstruktionen wie Carcassonne, Pierrefonds und nicht zuletzt von Notre Dame de Paris.
Intuitiv erscheint dem Leser der Studie, dass die Bearbeiter hiermit eine Tür geöffnet haben, die eine von festgefahrenen ideologischen Standpunkten losgelöste Herangehensweise ermöglicht. Aus Sicht von Stadtbild Deutschland erschiene es jedoch wünschenswert, dass man – zumindest als gleichberechtigte Variante – eine Totalrekonstruktion, durchaus im Sinne eines Eugène Viollet-le-Duc, zum Spektrum der Möglichkeiten hinzufügt.
Abgesehen davon, dass die Wahl einer solchen aus Sicht des Vereins in jedem Falle anderen Varianten vorzuziehen ist – sie hat für sich genommen auch Argumente auf ihrer Seite, die in der Einleitung von Wandel Lorch Götze Wach lediglich peripher, ja, stiefmütterlich abgehandelt werden.
Dem Verein scheint es jedoch grundsätzlich sehr sinnvoll, gerade auf diese ein Schlaglicht zu richten und – vielleicht auch im Sinne der eben Genannten, insbesondere wohl von Viollet-le-Duc, eine Haltung, eine Herangehensweise an die Rekonstruktion an sich aufzutun, die diese weitaus positiver deutet, als dies im gegenwärtigen der Diskurs vielfach der Fall ist.
Zunächst: ohne jede Frage werden Sachzwänge der Gegenwart – seien sie baurechtlicher Natur, seien sie den heutigen Anforderungen durch die Gemeinde an das Bauwerk geschuldet – zwingend für eine vom Original abweichende Gestalt des zu rekonstruierenden Gebäudes sorgen. Dies gilt für die Bornplatz-Synagoge, dies gilt für nahezu jede in Betracht kommende Rekonstruktion.
Dieses verunmöglicht jedoch nicht per se die Machbarkeit einer Rekonstruktion – und dies sowohl praktisch wie auch hinsichtlich der theoretischen Begründbarkeit. Entscheidend für die Bejahung bzw. die Verneinung der prinzipiellen Möglichkeit des Rekonstruierens die Beantwortung der Frage nach dem Wesen, nach dem Sinngehalt von Architektur, von Bauwerken an sich.
Was also ist ein Bauwerk? Was ist Architektur?
Eben mehr als ein Haufen Steine. Und damit verlässt man das Feld der Naturwissenschaft und betritt das der Philosophie. Was unterscheidet die Architektur wesensmäßig vom zufällig Entstandenen, vom ohne schöpferischen Geist Ersonnenen?
Im Grunde beinhaltet der vorangehenden Satz bereits die beiden Lösungsansätze oder die grundlegenden Deutungsmöglichkeiten von Architektur, von Bauwerken. Und damit in Konsequenz auch die von Möglichkeit und Unmöglichkeit von Rekonstruktionen:
Man wird zwei grundlegende Deutungsformen von Architektur unterscheiden müssen: einen materialistischen Ansatz, der in einem Bauwerk in erster Linie – oder gar ausschließlich – die naturwissenschaftlich fassbare Zusammenfügung eines bestimmten Repertoires von Materialien zu einem geometrisch-räumlich manifestierten Ganzen sieht.
Diesem gegenüber steht ein idealistischer Ansatz, der in einem Bauwerk die steingewordene Manifestation des Willens des entwerfenden Architekten sieht
Beide Ansätze stehen einander die Pole gegenüber und führen zu einer gänzlich unterschiedlichen Sicht und Bewertung von Rekonstruktionen.
Der erstgenannte, materialistische Ansatz führt per se zu einer Fokussierung auf das Singuläre, auf das konkret an einem Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt Erbaute.
Ähnlich einer Reliquie oder einem vom Künstlerhand geschaffenen Kunstwerk handelt es sich nach dieser Diktion bei einem Bauwerk um etwas Unwiederholbares, im Falle seiner Zerstörung Unwiederbringliches. Eine Rekonstruktion im Wortsinne verbietet sich hier eo ipso.
Denkbar sind – dieser Denkschule folgend – lediglich an das einst Gewesene gemahnende Hinweise gebauter Art.
Diese mögen dem abgegangenem Vorbild optisch vage ähneln – eine gestalterische Nachahmung mit dem Ziel, das Bauwerk als solches wieder erlebbar zu machen, verbietet sich dieser Lesart entsprechend von selbst. Konsequenteste Umsetzung findet dieses Konzept wohl in der „konzeptionellen“ Rekonstruktion, wie sie oben unter Punkt 4. genannt wurde.
Ganz anders fassen die Vertreter der nachgenannten Haltung, der idealistischen, den Charakter eines Bauwerkes auf – was eine grundlegend andere Bewertung von Rekonstruktionen nach sich zieht.
Stellt man auf dem schöpferischen Willen des Architekten als das konstituierende Momentum ab, so verliert das Bauwerk als gleichsam zu Stein geronnene Intention seines geistigen Schöpfers zwar nichts von seinem dokumentarischen Wert (auch die Vertreter dieser Denkschule versagen sich nicht gänzlich dem Reliquienkult…), doch steht diesem zumindest gleichberechtigt der des Genius aedificii zur Seite.
Und just dieser ist in Form einer originalgetreuen Rekonstruktion durchaus wiederherstellbar.
Es ist nicht gänzlich abwegig, bei dieser gegenüberstellenden Abwägung auch auf andere Kunstgattungen zu blicken – namentlich auf solche, denen der Umgang mit der Flüchtigkeit des Geschaffenen weit immanenter ist, als der Architektur – der dieser Gedanke ja im Grunde fremd ist.
Wohl keine Kunstgattung ist ihrem Wesen nach flüchtiger als die der Musik: Erklingt sie, so ist sie im nächsten Moment schon wieder verschwunden – gerade die klassische Musik, bei der die Tonaufnahme einen weitaus geringeren Stellenwert besitzt, als in der Gegenwartsmusik, führt dies besonders deutlich vor Augen.
Setzte man hier mit einem ähnlichen Impetus an wie es die Verfechter des materialistischen Ansatzes in der Architektur tun – eine jede Komposition wäre nur für den einen, singulären Augenblick geschaffen. Jede erneute Aufführung des Stückes verbäte sich, da es ihr an Authentizität fehlte – eine zwar etwas zugespitzte Formulierung, jedoch eine, die zum Kern des Problems führt.
Demgegenüber das musikalische Äquivalent der idealistischen Haltung: hier manifestiert sich der in der Partitur – analog zum Bauplan – ausgedrückte Wille des Urhebers durch die Hand bzw. den Taktstock des Dirigenten in der Interpretation des Orchesters oder des Solisten.
Der schöpferische Akt, der das Sein des Gebäudes begründet, ist – wendete man diesen Ansatz auf die Baukunst an – weniger der der Vergegenständlichung des Bauwerkes durch das Zusammenfügen der Materialien. Es ist vielmehr die Entäußerung des schöpferischen Willens des Architekten durch das Herstellen von Plänen oder das Äußern von Anweisungen an die Ausführenden.
Die Schöpfung des Gebäudes findet also bereits früher statt. Die Materialisierung in Form der tatsächlichen Errichtung ist folglich weniger ein schöpferischer Akt (ohne freilich die Kunst der Handwerker schmälern zu wollen!), als vielmehr ein interpretatorischer. Analog zur Musik scheint es durchaus legitim, die Begründung des Genius aedificii, wenn schön nicht völlig, so aber doch ganz überwiegend, in der Sphäre des Architekten stattfinden zu lassen.
Tut man dieses – und verfügt weiterhin über authentische Zeugnisse des Wirkens des Architekten in Form von Plänen oder detaillierten Dokumenten über das Originalgebäude – so ist eine originalgetreue Rekonstruktion im Sinne einer erneuten Umsetzung des Architektenwillens problemlos möglich.
Dieses entspricht – zumindest bei einem Bauwerk der Art der Synagoge – der Haltung von Stadtbild Deutschland. Fraglos: anders verhielte es sich dann, wenn es um die Frage eines mit ganz konkreten Ereignissen verknüpften Ortes ginge. Sinngemäß also der Neuschöpfung einer „Reliquie“. Eine solche könnte, aufgrund des Fehlens des für sie konstitutiven Charakters einer vollständigen, materiellen Identität mit dem historischen Original, stets nur eine Attrappe sein.
Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Es geht um die Wiedererrichtung des Mittelpunktes des Jüdischen Lebens in Hamburg. Mehr noch: um die Herstellung des zerstörten Gotteshauses, das vor über einhundert Jahren vom beeindruckend talentierten Architekten Semmy Engel als äußere Hülle für den Ort des Gebets erdacht wurde.
Es geht darum, in einer heutigen, den nutzungstechnischen Erfordernissen der Gemeinde angepassten Weise den schöpferischen Geist des Architekten zu interpretieren und sich diesem Imperativ mit der gebotenen Demut unterzuordnen.
Aus Sicht von Stadtbild Deutschland wird daher eine solche, nah am Original orientierte Rekonstruktion der Synagoge nicht nur am ehesten dem Willen des Architekten, der jüdischen Gemeinde und dem der Initiatoren gerecht.
Als erneute Interpretation des schöpferischen Geistes – gedenkend der o.g., ihn in seiner Formensprache beeinflussenden Erwägungen – und als aus der Asche der Geschichte neu erstehenden, kraftvollen Manifestation der Gegenwart jüdischen Lebens im Norden, setzte eine tatsächliche Rekonstruktion der Synagoge ein machtvolles Zeichen in Richtung Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.