Im Vorfeld der Oberbürgermeisterwahl am 12. Juni 2022 hat der Ortsverband Dresden von Stadtbild Deutschland e.V. den bis Ende März feststehenden Kandidaten einen Fragenkatalog zu den Themen Städtebau und Stadtplanung allgemein, in Dresden im Speziellen, und zu aktuellen Stadtentwicklungsprojekten der Stadt übersandt. Von den bisher im Stadtrat vertretenen Parteien haben bis Ende Mai drei Kandidaten unsere Fragen beantwortet: Eva Jähnigen (GRÜNE), André Schollbach (LINKE), und Martin Schulte-Wissermann (PIRATEN).
Wir möchten im Folgenden einen Überblick über die Antworten der Kandidaten sowie unsere Position zu den angesprochenen Themen darlegen.

Städtebau und Stadtplanung allgemein

In diesem Themenbereich wollten wir die Meinung der Kandidaten zur bisherigen städtebaulichen Entwicklung Dresdens wissen. Mehrheitlich wurde die besondere Symbiose der Landschaft des Elbtals mit der Kunstform städtischen Bauens über die Jahrhunderte hervorgehoben (Jähnigen, Schollbach). Gleichzeitig wurde von allen Kandidaten die Zerstörung dieses gewachsenen Stadtbildes 1945 bedauert. Zwar stelle die Stadtplanung der Nachkriegszeit ein zeitgeschichtliches Zeugnis dar, besonderen Gefallen finden die Kandidaten jedoch alle an erhaltenen Baustrukturen und wünschen sich eine daran anschließende Weiterentwicklung (Schollbach), bzw. eine stärkere Würdigung erhaltener Baukultur, wie z.B. der Gründerzeitviertel (Schulte-Wissermann). Diesen Einschätzungen können wir uns anschließen, messen die Stadtplanung jedoch stärker an ästhetischen Gesichtspunkten, unter denen betrachtet die Stadtplanung und Architektur der Nachkriegszeit erheblich hinter vorherige Epochen zurückfällt und kritischer betrachtet werden sollte.

Wir fragten weiter, wie die Kandidaten eine Wiederherstellung verloren gegangener Stadtstrukturen, und in diesem Zusammenhang die Rekonstruktion einzelner bedeutender Gebäude bewerten. Einer „Totalplanung“ mit großflächigen Abrissen erteilten zwei Kandidaten eine Absage (Jähnigen, Schollbach), während jedoch einhellig der Ruf nach mehr Kleinteiligkeit und weniger Großprojekten von Immobilienkonzernen ertönte. Angesprochen wurden der Vorbildcharakter der Gründerzeitviertel in dieser Hinsicht (Schulte-Wissermann), sowie die oft fehlende Rücksichtnahme auf organische Entwicklung (Schollbach). Wir sehen dabei übrigens keinen Widerspruch zwischen großflächiger Planung und kleinteiliger Entwicklung, wie das Neumarkt-Areal eindrücklich beweist. Rekonstruktionen von verloren gegangenen Gebäuden erachten alle Kandidaten als sinnvoll, bzw. in der Vergangenheit erfolgreich, jedoch teilweise mit der Einschränkung, dass v.a. archäologische Rekonstruktionen (Jähnigen), bzw. solche von Gebäuden mit erhaltener Restsubstanz (Schulte-Wissermann) bevorzugt werden. Diese Einschränkung teilen wir nicht, weil der Bezug auf die Substanz im Sinne des Denkmalschutzes für das Stadtbild keine Relevanz hat und uns als Ansatz zu theoretisch erscheint.

Eine konkrete Frage hatten wir zu derzeit bei Dresdner Neubauprojekten und Planungen vorherrschenden Flachdächern. Alle Kandidaten stehen der Verwendung von z.B. Mansarddächern mit Dachbegrünung (sogenannte Plattformdächer) positiv gegenüber, bzw. sehen die Verwendung von Flachdächern generell kritisch (Schulte-Wissermann), v.a. in sensiblen Bereichen und wenn dadurch Staffelgeschosse als flächenmaximierendes Element ohne Gestaltungsanspruch begründet werden (Schollbach). Wir fordern im Innenstadtbereich generell das Zulassen traditioneller Dachformen, bzw. in bestimmten Bereichen per Bebauungsplan und/oder Gestaltungssatzung deren verpflichtende Verwendung. Eine Begrünung oder Nutzung durch Solaranlagen ist dadurch nämlich keinesfalls ausgeschlossen, muss aber gestalterisch angepasst erfolgen.

Dresdner Stadtplanung

Hier fragten wir nach der Einschätzung der Arbeit verschiedener Akteure der Dresdner Stadtplanung, namentlich des Stadtplanungsamtes, der Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden (GHND) und der Gestaltungskommission.

Die Arbeit des Stadtplanungsamtes wird mehrheitlich kritisch bewertet, v.a. im Bezug auf fehlende Transparenz (Schollbach), Darstellung von Planungen als „alternativlos und unabänderbar“ (Schulte-Wissermann), sowie nicht ausreichende Gestaltungsleitlinien (Jähnigen). Auch aus unserer Sicht ist die Arbeitsweise des Stadtplanungsamtes stark verbesserungswürdig, v.a. muss die Umsetzung von Beschlüssen des Stadtrates stärker kontrolliert und forciert werden, damit Verhinderungstaktiken wie beim Narrenhäusel, Untätigkeit und Nachlässigkeit wie beim Palais Oppenheim, Abweichungen von Planzielen wie in der Lingnerstadt, und Ignorieren von Mehrheiten in der Bürgerschaft wie am Neustädter Markt oder beim Sachsenbad nicht mehr vorkommen können.

Die Arbeit der Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden (GHND) wird einhellig gelobt, bzw. deren Ausweitung ins Spiel gebracht (Schulte-Wissermann). Aus unserer Sicht kann die GHND nicht genug gewürdigt und unterstützt werden, sie kann sich allerdings nicht alleine als Stimme der Bürgerschaft sichtbar genug machen, weshalb wir unser eigenes Engagement in bestimmten Bereichen der Dresdner Baukultur stärken möchten. Bürgerschaftliches Engagement ist augenscheinlich allen Kandidaten wichtig, weshalb wir dieses auch gegenüber der Stadtpolitik und der Verwaltung stärker ins Gewicht bringen wollen, bzw. dies vom zukünftigen Oberbürgermeister einfordern.

Die Gestaltungskommission wird von allen Kandidaten als wichtiges Gremium betrachtet, was aus unserer Sicht die Kritik am Stadtplanungsamt und an teilweise ungenügender Sichtbarkeit des Bürgerwillens durch den Stadtrat und bürgerschaftliche Initiativen unterstreicht. Eine Entlastung des Bauausschusses (Schulte-Wissermann) bzw. fachliche Unterstützung scheint notwendig und zusätzliche kompetente Stimmen wie die der Gestaltungskommission sind aus unserer Sicht unerlässlich, um eine „Ideenhoheit“, die keiner der Kandidaten bei einem bestimmten Akteur der Stadtplanung sieht, zu vermeiden. Aus unserer Sicht ist diese derzeit durch Machtstrukturen und fehlende Kontroll- und Lenkungsmechanismen nicht ausgeglichen. Auch bei unserer Frage nach dem richtigen Umgang mit Immobiliengroßeigentümern (z.B. Vonovia, Genossenschaften, etc.) ist der Wunsch nach mehr Rücksicht auf die Stadtgesellschaft (Schollbach) und gestalterisch hochwertiger Stadtentwicklung (Jähnigen) geäußert worden.

Die Frage, ob zu dessen Umsetzung die Instrumente zur Stadtgestaltung (Bebauungspläne, Gestaltungs-/Denkmalschutzsatzungen, etc.) bereits ausschöpfend verwendet werden, wird von allen Kandidaten verneint. Einerseits wird vorgeschlagen, das Stadtplanungsamt personell zu verstärken (Jähnigen), andererseits, der Verwaltung stärkere Leitlinien vorzugeben (Schollbach), bzw. politische Lösungen wie Schutzsatzungen und Bebauungspläne stärker zu nutzen (Schulte-Wissermann). Die Kritik am Status Quo der Arbeit des Stadtplanungsamtes dringt auch hier wieder hindurch.

Aktuelle Dresdner Stadtentwicklungsprojekte

Zu den von uns als Beispiel genannten aktuellen Projekten nahmen zwei Kandidaten jeweils einzeln Stellung, während Frau Jähnigen allgemein formulierte, dass eine stärkere Evaluierung jedes einzelnen Projekts notwendig sei, um für folgende Planungen zu lernen. Dem können wir zustimmen, denn allzu oft verhallt fachliche und öffentliche Kritik an Planungsergebnissen offenbar ungehört, wie z.B. beim Verwaltungszentrum am Ferdinandplatz oder beim Postplatz.

Wir fragten konkret nach Meinungen zu den folgenden Projekten:

  • Neumarkt und Umfeld: Der Erfolg ist unbestritten, allerdings wird bedauert, dass das Hotel „Stadt Rom“ nicht am Originalstandort rekonstruiert werden kann (Schollbach, Schulte-Wissermann). Bzgl. weitergehender Möglichkeiten (z.B. Durchbruch Moritzstraße) scheint fachlicher Austausch nötig zu sein.
  • Lingnerstadt/Robotron-Areal: Die Abhängigkeit der Stadt von Investoreninteressen wird einhellig kritisiert (Schollbach, Schulte-Wissermann). Der Einschätzung, dass es sich hier um eine verpasste Chance handelt (Schollbach), können wir vollauf folgen. Dass durch Versäumnisse der Stadt bzgl. Eigentümerschaft und Planung nun das Palais Oppenheim trotz vorhandenem Investor und freiem Bauplatz, sowie einem bürgerschaftlichen Konsens nicht wiederaufgebaut werden kann, ist ein Skandal. In der Weiterführung der Planungen für dieses wichtige innerstädtische Areal sind aus unserer Sicht klare Vorgaben an die Verwaltung notwendig!
  • Nördliche Pirnaische Vorstadt: Dieses Gebiet wird (aus unserer Sicht zu Unrecht) derzeit nicht als vorrangig zu beplanendes Gebiet betrachtet; v.a. wegen großer Versäumnisse der Stadtplanung in der Vergangenheit gestaltet sich eine Lösung hier besonders schwierig und sollte nicht auf die lange Bank geschoben werden!
  • Postplatz: Kritik am Ergebnis des (fast) fertig gestellten Postplatzes wird einhellig geäußert, v.a. wird mehr Begrünung gefordert (Schollbach, Schulte-Wissermann). Den Platz ansonsten aufzugeben sehen wir allerdings langfristig nicht als richtige Lösung an.
  • Wiener Platz/Umfeld Hauptbahnhof: Die knappe Aussage „Zumindest ist das Loch zu“ (Schulte-Wissermann) drückt die Misere aus unserer Sicht sehr gut aus. Eine Abfindung mit dem Status Quo und kommenden minderwertigen Planungen ist aus unserer Sicht auch hier nicht förderlich. Die Forderung, hier weiter aufmerksam zu bleiben (Schollbach), können wir daher nur unterstreichen.
  • Packhofareal: Auch hier wird die nicht umgesetzte ursprüngliche Idee, ein Kunst-/Kulturquartier zu schaffen, als Ernüchterung und Irreführung des Stadtrates durch fehlerhafte Visualisierungen (Schollbach) bezeichnet. Dass der Stadtrat schließlich dennoch den Planungen der Verwaltung zustimmte, ist ein weiteres Zeichen, dass sich etwas ändern muss!
  • Hafencity/Alter Leipziger Bahnhof: Alle drei Kandidaten sehen eine gemeinwohlorientierte Planung am Alten Leipziger Bahnhof vor. Zudem wird eine denkmalgerechte Rekonstruktion der Bestandsgebäude mit neuer Nutzung (Schollbach) gefordert. Das Gelände wird als große Chance gesehen (Schulte-Wissermann), wird aus unserer Sicht jedoch keinen großen Vorbildcharakter für weitere Innenstadtprojekte haben, da die Nutzungsstruktur hier sehr speziell ist.
  • Sachsenbad: Die Entscheidung der Verwaltung und des Stadtrates, das Bad zu verkaufen und nicht als Gesundheitsbad zu sanieren, wird als „Trauerspiel“ bezeichnet (Schulte-Wissermann), die Büronutzung beraube das Gebäude seiner Seele (Schollbach). Wieder einmal interessierte bürgerschaftliches Engagement und politischer Konsens nicht genug, um die Verwaltung zu einer guten Lösung zu zwingen.

Das Thema Neustädter Markt/Königsufer war uns eine eigene Frage wert, denn die Lösung dieses Konflikts zwischen neuerlichem Denkmalschutz für die DDR-Planung und der über Jahrzehnte ausgearbeiteten städtebaulichen Planung, die mit großer Bürgerbeteiligung und einem eindeutigen Wettbewerbsergebnis bestätigt wurde, wird in die Amtsperiode des neuen Oberbürgermeisters fallen. Alle Kandidaten begrüßen die Unterschutzstellung, wobei einschränkend bereits die städtebauliche Qualität des Areals bezweifelt wird („Man muss es nicht unbedingt mögen“, Schulte-Wissermann). Ebenso wird zugegeben, dass es nachvollziehbar sei, den Platz zu fassen (Schollbach). Alle Kandidaten sehen hier allerdings weiteren Diskussionsbedarf, z.B. soll die denkmalpflegerische Konzeption erst nach der weiteren Beplanung erfolgen (Jähnigen). Zudem sei der Platz viel zu wichtig, um Entscheidungen einzelner Gruppen zuzulassen (Schulte-Wissermann). Durch Kleinteiligkeit der Planungen seien aber gelingende Kompromisse möglich (Schollbach). Die Antworten der Kandidaten zeigen aus unserer Sicht, wie unausgegoren und vorschnell die Entscheidung des Denkmalschutzes war, sie bringt mehr Probleme, als sie löst.

Auf die Frage, wie unser kürzlich vorgestelltes Konzept für eine schmalere Sankt Petersburger Straße und die Wiederherstellung der großen Stadtplätze Georg-, Pirnaischer und Rathenauplatz mit angrenzenden urbanen Räumen bewertet wird, wurde grundsätzlich Zustimmung geäußert. Die von uns vorgeschlagene Wiederherstellung der ehemaligen Johann-Georgen-Allee mit starker Begrünung und offen verlaufendem Kaitzbach als Grünachse und Frischluftschneise erscheint uns als geforderte Umsetzung von Verkehrsberuhigung und Begrünung (Jähnigen, Schollbach) geeignet. Dass der historische Stadtgrundriss auch diese heutigen Bedürfnisse zu erfüllen vermag, steht aus unserer Sicht nicht in Frage. „Unbedingt“ befürwortet unser Konzept Kandidat Schulte-Wissermann.

Abschluss

Auf die Frage nach einer freien Formulierung zum Thema Stadtentwicklung / Stadtplanung / Stadtbild antworten alle Kandidaten, dass dieses Thema weiterhin eines der wichtigsten in der Stadtpolitik bleibt. Als zentrale Aufgabe, die viele weitere Handlungsfelder verbindet, sieht Kandidatin Eva Jähnigen (GRÜNE) die Stadtentwicklung. Fundamentale Veränderungen, die unkontrolliertes Treibenlassen nicht dulden, sieht Kandidat Martin-Schulte- Wissermann im nächsten Jahrzehnt kommen. Die Stadtplanung als offener Dienstleister der Bürgerschaft, der Enthusiasmus und Leidenschaft aus der Stadtgesellschaft in die Planungsämter bringt, sieht Kandidat André Schollbach (LINKE).

Wir wünschen uns, dass der neue Oberbürgermeister diese Impulse aufnimmt, und das Thema Stadtentwicklung / Stadtplanung / Stadtbild als das ernst nimmt, was es ist: das Wesen der Stadt, ihr Gesicht und ihre Identität, mit denen Bürger und Besucher tagtäglich in Berührung sind und deshalb einen Anspruch auf höchste Qualität haben. Wir wünschen uns, dass der neue Oberbürgermeister die Stadtverwaltung, v.a. das Stadtplanungsamt, im Sinne der Bürgerschaft leitet und führt, um unbefriedigende Eigenleben, wie es sie bisher gibt und wie sie allerorten kritisiert werden, zu verhindern. Stadtplanung muss wieder im Sinne der Bürger und mit für eine Stadt wie Dresden angemessenem höchstem qualitativem Anspruch erfolgen!