Der Großteil der Berliner Altbauten wird weder durch Denkmalschutz noch durch Erhaltungssatzungen wirksam vor Abrissen geschützt. Durch den zunehmenden Druck auf dem Immobilienmarkt drohen weitere Verluste wertvoller Häuser im Stadtgebiet. So musste nun der Bezirk Steglitz-Zehlendorf den Abriss eines 1871 errichteten Sommerhauses der Villenkolonie Alsen in Wannsee genehmigen. Eine vorangegangene Prüfung der Schutzwürdigkeit durch das Landesdenkmalamt hatte ergeben, dass die Villa wegen erfolgter Umbauten nicht unter Denkmalschutz gestellt werden könne. Wegen der offensichtlichen Regelungslücke beim Abrissschutz hat sich der Berliner Ortsverband von Stadtbild Deutschland nun an die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses, die Bezirksverordnetenversammlung und das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf gewandt und vorgeschlagen, die gründerzeitlichen Baubestandsgebiete in Berlin nach §172 Abs 1 Nr. 1 BauGB oder durch andere geeignete Maßnahmen besser vor Abrissen zu schützen:

Alte Häuser sind in Berlin nicht ausreichend vor Abrissen geschützt – es liegt in Ihrer Hand, mit Hilfe von Erhaltungssatzungen daran etwas zu ändern.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Berliner Parlaments, sehr geehrte Bezirksverordnete,

über Abrisse von Gebäuden des 19. Jahrhunderts wird in Berlin meist nur, wenn überhaupt, in bezirklichen Lokalseiten von Zeitungen berichtet – aktuell im Tagesspiegel vom 12.5.21 über die „Conrad-Villa Nr. 3“, 1871 als eines der ersten Sommerhäuser der Villenkolonie Alsen in Wannsee erbaut. Für dieses Haus wurde vom bezirklichen Bauamt eine Abrissgenehmigung erteilt, Proteste mehrerer Vereine und Initiativen blieben bislang erfolglos. Eine Unterschutzstellung des 150 Jahre alten Hauses wurde durch das Landesdenkmalamt abgelehnt – mit der Begründung, das Gebäude sei wegen durchgeführter Umbauten nicht mehr schutzwürdig.

Dieser Fall ist beispielhaft auch für andere Abrisse im Berliner Stadtgebiet. Viele baukulturell, in ihrer Ensemblewirkung oder bereits auf Grund ihres Alters wertvolle Gebäude sind in den letzten Jahrzehnten durch Neubauten ersetzt worden – und das Abrissgeschehen setzt sich auf Grund letztlich unveränderter Gesetze und des anhaltenden Verwertungsdrucks auf dem Immobilienmarkt schleichend, aber kontinuierlich fort. Manche Abrisse hat man später bereut, viele fast schon vergessen. So haben sich manche stadtgeschichtlich bedeutenden Quartiere Berlins, die Krieg und Verfall mit Glück überstanden haben, bereits irreversibel verändert und zeigen sich heute in weiten Bereichen inhomogen und überformt, die ursprüngliche Ensemblewirkung ist kaum mehr erlebbar.

Doch aus den Verlusten wurden keine ausreichenden Lehren und Konsequenzen gezogen. In Berlin gibt es Denkmalschutz weiterhin nur für wenige, kulturell bedeutende Bauwerke. Das Erkennen früherer Fehler sollte normalerweise Anlass dazu geben, diese fortan zu vermeiden, ja eine Wiedergutmachung zu erwägen – nicht jedoch, diese weiterhin zu ignorieren oder gar fortzusetzen. Es wäre ein Zeichen von Respekt für die baukünstlerischen Leistungen der Menschen früherer Zeiten, nachträgliche Umbauten an jahrhundertealten Gebäuden nicht als Begründung zu nehmen, diese ganz zu beseitigen – sondern einen Erhalt dieser Häuser als Selbstverständlichkeit anzusehen, vielleicht gar Unterstützung dafür zu bieten, das Erscheinungsbild des Hauses in Anlehnung an seine ursprüngliche baukünstlerische Intention wiederherzustellen. Es liegt in unseren Möglichkeiten und ist Teil unserer Verantwortung gegenüber früheren, aber auch in Zukunft hier lebenden Menschen, das Abrissgeschehen zu beenden und zu retten, was noch zu retten ist. Zu viel ist schon verloren gegangen.

Hierfür müssen jedoch auch von Seiten der Gesetzgebung die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Unserer Meinung nach ist es der falsche Weg, wenn der Abriss eines Hauses grundsätzlich zulässig ist, sofern nicht im Einzelfall Denkmalschutz, quartiergebundene Erhaltungssatzungen oder das Zweckentfremdungsverbot dem entgegenstehen – und die Bezirksämter mit den Abrissgenehmigungen quasi allein gelassen werden. Für eine an Nachhaltigkeit orientierte, der Baukultur aller Zeiten Respekt entgegenbringende Stadtgesellschaft wäre der umgekehrte Weg besser: Abrissen stadtweit einen wirksamen Genehmigungsvorbehalt entgegenzustellen, beispielsweise durch die Ausdehnung von Geltungsbereichen des §172 Abs. 1 S.1 Nr. 1 Baugesetzbuch (Satzung zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets auf Grund seiner städtebaulichen Gestalt) im gesamten Stadtgebiet, oder durch andere gesetzliche Maßnahmen. Dies sollte verbunden werden mit einer geeigneten Bezuschussung von bauhistorisch angemessenen Sanierungen der zu erhaltenden Bausubstanz – auch wenn diese nicht als Baudenkmal anerkannt ist, so wie der Großteil der Berliner Altbauten.

Wenn Bezirksverwaltungen keine Möglichkeiten haben, Abrisse baukulturell wertvoller Häuser zu verhindern, zeigt sich darin letztlich ein Mangel in der gesetzlichen Regelung, oder auch ein nicht ausreichender Geltungsbereich anwendbarer Erhaltungsverordnungen. Unser Appell lautet daher: bitte setzen Sie Ihre Gestaltungsmöglichkeiten in Gesetzgebung und Verwaltung dafür ein, die Voraussetzungen für einen dauerhaften Erhalt bisher ungeschützter historischer Gebäude und Quartiere in Berlin zu schaffen.“